Ein nützlicher Schal (SCARF) – für gelingende (Arbeits-)Beziehungen

Manchmal werden wir gefragt: Was ist in einer Kurzversion die Message der Neurowissenschaften für Führung und gelingende Arbeitsbeziehungen? Der nützliche Schal (englisch scarf), das SCARF-Modell von David Rock, ist eine solche Kurzversion und damit eine Antwort. Das Modell beschreibt fünf Faktoren (Bedürfnisse), die unser Gehirn permanent im Blick hat und scannt. Wenn das Gehirn bei einem dieser Faktoren Alarm schlägt, weil das Bedürfnis nicht ausreichend berücksichtigt wird, kommen Menschen in einen Stressmodus. Dies führt dazu, dass sie häufig, nicht mehr in ihrem vollen Potential sind. Das strahlt auf Arbeitsbeziehungen aus. Das Akronym SCARF steht für:

  • Status (Beachtung)
  • Certainty (Gewissheit)
  • Autonomy (Autonomie)
  • Relatedness (Verbundenheit)
  • Fairness (Anstand)

Wir werden in den nächsten Wochen die SCARF-Faktoren nacheinander vorstellen, weil die Beachtung dieser Faktoren viele positive Auswirkungen im (Berufs-)Leben hat. Arbeitsbeziehungen gelingen.

Der erste Faktor Status beschreibt unsere relative Stellung zu einem anderen Menschen. Kim z.B. ist Führungskraft in einem großen Unternehmen. Sie hat ein virtuelles Jahresgespräch mit ihrem Vorgesetzten Justus. Er hat das Gespräch kurzfristig anberaumt, deshalb muss Kim wichtige Termine verschieben, um den vorgeschlagenen Termin am späten Nachmittag zeitlich möglich zu machen. Sie enttäuscht andere und ist dafür aber pünktlich im Meeting mit Justus. Sie wartet am Bildschirm. Justus beginnt das Gespräch 15 Minuten später als verabredet. In den ersten 7 Minuten kommt Kim nicht zu Wort, da Justus ausführlich von seinem stressigen Tag erzählt. Danach berichtet er, wo er mit der Abteilung strategisch hin will und welche Ideen er dazu hat. Als Justus Kim dann nach rund 30 Minuten fragt, wie es ihr im letzten Jahr ergangen ist, bekommt Kim den Impuls, den Bildschirm aus dem Fenster werfen zu wollen.  

In der Praxis von Führung und Personalarbeit entstehen oft ähnliche Gesprächssituationen wie bei Kim. Das Gehirn nimmt wahr, wie wir zu anderen Personen stehen, welchen Status wir ihnen gegenüber einnehmen, wie sehr wir uns in unserem Tun gesehen, mit unserer Zeit geachtet und menschlich wertgeschätzt fühlen, nach jeweils individuellen Maßstäben. Wenn das Gehirn subjektiv den Eindruck hat, dass unser sozialer Status niedriger ist als der des Gegenübers – das ist unabhängig von Rollen und der Hierarchie – setzt eine Stressreaktion ein. Das Limbische System im Gehirn klassifiziert die Situation als bedrohlich, die Atmung wird merklich schneller und die Aufmerksamkeit wird eng. Kreatives Denken und echte Begegnung sind nicht mehr möglich. Heftige Reaktionen (innerlich und äußerlich) können die Folge sein.  

Der Mensch und seine Potentiale sollen in vielen Organisationen im Mittelpunkt stehen. Unwissentlich und unabsichtlich wird dabei oft das Bedürfnis nach Status missachtet. Gesprächskulturen ändern sich, wenn Menschen auf allen Ebenen ihre Sinne dafür schulen, was ihr Verhalten beim Gegenüber bewirken kann und wie es das Ergebnis beeinflusst. Ein Anfang könnte es beispielsweise sein, sogenannte Gesprächsleitfäden und -bögen sprachlich so zu gestalten, dass sie Begegnungen auf Augenhöhe unterstützen, damit Arbeitsbeziehungen gelingen.

Die Neurowissenschaften geben uns eine Art Bedienungsanleitung für das Gehirn. Das heißt, sie liefern uns viele bedeutsame Erkenntnisse, Tools und Denkmodelle, die direkt im Arbeitskontext angewendet werden können. Das erleichtert Zusammenarbeit, macht sie effektiver und sehr oft freudvoller.

Mehr von den nützlichen Neurowissenschaftlichen Tools, Denkmodellen und Erkenntnissen für Führung, Beratung und Personalentwicklung bieten die Kommunikationslotsen vom 21.11. bis 24.11.2022 in der Grube Louise an. Hier gibt es unter dem Stichwort Neuro-Facilitation weitere Infos und die Möglichkeit zur Anmeldung zum Early Bird Preis.